„Zwischen den Jahren“ wird diese Zeit um den Jahreswechsel auch genannt. Zwischen den Jahren ist wie „Zwischen-den-Stühlen-Sitzen“. Zwischen dem alten und dem neuen Jahr. Zwischen Zurückblicken, Bilanz ziehen und Erwartungen hegen, wie das neue Jahr werden sollte, damit wir am Ende sagen können: Es war ein gutes Jahr.
Und was macht ein Jahr zu einem „guten Jahr“? Wenn alles genau so abgelaufen ist, wie wir es geplant haben? Wenn Wünsche in Erfüllung gingen? Wenn wir gesund sind? Wenn wir uns materiell keine Sorgen machen müssen? Wenn Freunde, Familie, Menschen da sind, die uns mögen und unterstützen? Wenn es uns gelingt, Frieden zu machen mit etwas, das wir nicht ändern können? Wenn die positiven Erlebnisse überwiegen gegenüber dem, was Kraft kostet?
In der christlichen Tradition begleiten Bibelverse das Jahr. Wochensprüche, Verse für den Tag, eine Jahreslosung. Sie rufen denen, die mit diesen spirituellen Impulsen leben, ins Bewusstsein, dass das Leben in einem weiteren Horizont steht als unser eigener Blick reicht. Die Jahreslosung für 2021 heißt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist.“
Barmherzigkeit bedeutet „ein Herz voller Erbarmen haben“ oder mit den Worten Martin Luthers ausgedrückt: „mit seinem Herzen bei den Armen sein.“ Wer barmherzig ist, schaut nicht nur mitleidig auf das Elend in der Welt und um sich herum, sondern den treibt es zum Handeln. Im Corona-Jahr haben viele Barmherzigkeit gelebt. Haben Nachbarschaftshilfe geleistet, haben Geld gespendet, Rücksicht genommen, haben Einschränkungen akzeptiert, um andere zu schützen. Und gleichzeitig stieg mit wachsender Gereiztheit auch die Unbarmherzigkeit, vor allem in den „sozialen Medien“. Es wurden keine Argumente mehr ausgetauscht, sondern spottende Lachsmileys unter Beiträge gesetzt, beleidigende und verletzende Kommentare geschrieben oder Verschwörungsszenerien heraufbeschworen. Der gesellschaftliche Ton wird rauer, je mehr die Ungeduld und das Gefühl der Überforderung wächst. Barmherzigkeit kann verschütt gehen unter Rechthaberei und Egoismus.
Deshalb kommt meiner Meinung nach die Jahreslosung mit ihrer Erinnerung an die Barmherzigkeit gerade recht. Sie erinnert uns zuallererst daran, dass wir selbst auch auf Barmherzigkeit angewiesen sind. Wir sind nicht perfekt, wir bleiben anderen immer etwas schuldig. Wir leben von der Barmherzigkeit Gottes, der uns mit den Augen der Liebe ansieht, Schuld vergibt und uns mit erbarmendem Herzen in der Not beisteht. Von dieser Barmherzigkeit sollen wir uns prägen lassen im neuen Jahr. Aufmerksam sein für Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Widersprechen, wenn über andere hergezogen wird. Auf den eigenen Ton achten. Verzeihen. Auf etwas verzichten. Barmherzigkeit kann viele Gesichter haben. Wo sie wächst, hat nichts und niemand die Chance, das Miteinander zu gefährden.
Wenn das Jahr 2021 tatsächlich zu einem Jahr voller Barmherzigkeit würde, dann könnte es „ein gutes Jahr“ werden.
Einen guten Beschluss und Gottes Segen für 2021!
Ihre Dekanin
Kerstin Baderschneider