Nächstenliebe

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Kreativtest für Nächstenliebe                  

„Erst musste ich mich dran gewöhnen, dann ging's“ so ein Passant auf die Frage, wie er mit den Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Krise klar kommt. An vieles haben wir uns gewöhnt, so dass wir es nie hinterfragten. Jetzt sehen wir bisherige Lebensgewohnheiten plötzlich aus einem anderen Blick. Wir müssen uns umgewöhnen. Sowohl im Privaten bei Kinderbeschulung und Home-Office, als auch in der Arbeitswelt und im weltweiten Handel. Heute wird klar, was globale Vernetzung leisten kann und was nicht, oder anders gesagt: Jede Medaille hat zwei Seiten. Wir werden lernen, dass die Herstellung von lebenswichtigen Medikamenten nicht komplett ans andere Ende der Welt verlagert werden kann. Wir müssen Gewohntes aufgeben oder neu hinterfragen. Die Corona-Krise zwingt uns zur Besinnung.

Ist die Fasten- oder Passionszeit nicht genau dafür da, Gewohntes neu zu betrachten, sich anderer Perspektiven zu stellen? Sicher, lieber tut man das freiwillig, nicht unter Anordnung. Jesus hat seinen Lebensstil anderen Menschen nicht aufgezwungen. Jede und jeder durfte frei entscheiden. Aber er hat einen Glauben vorgelebt, der ansteckend war. Jesus hat von einer Liebe erzählt, die Menschen nicht nach ihrer Leistung bewertet, sondern nach ihrer Würde als Mensch an sich. Er wollte sich nicht gewöhnen an Ungerechtigkeit und Missgunst. Vielmehr gab er Kraft und Zuversicht, einen neuen Weg einzuschlagen, der von Liebe und Demut geprägt ist.

Gerade in den Zeiten der Krise entstehen viele neue Ideen für ein gutes Miteinander. Nachbarschaftshilfen kaufen für andere ein, Ehrenamtliche engagieren sich in Kinderbetreuung, führen andrer Leute Hund Gassi, nehmen sich Zeit. Der Stresstest durch Corona wird zum Kreativtest für Nächstenliebe. Daran kann man sich auch gewöhnen, dass Menschen wieder offene Augen füreinander haben. Das Virus hilft zusammenzurücken, weil es keinen Unterschied macht zwischen Arm und Reich, Bildungsschicht, politischer Gesinnung.  Die soziale Kompetenz ist eine Gewinnerin dieser Krise. Menschen verstehen sich als Teil einer Gesellschaft, die unterschiedliche Stärken einbringen kann zum Wohle aller. Jesus hätte das gefallen.

von Pfarrer Uli Vogel, Schernau, Neuses, Dettelbach

(erschienen in: Mainpost am 30.3.2020)