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Am 5. April 1945 war der Krieg in Kitzingen zu Ende. Sepp Denninger, damals 10 Jahre alt, erinnert sich noch gut an diesen Tag: „Wir hielten uns im ehemaligen Bergwerksstollen bei der alten Würzburger Straße auf, als die Amerikananer über den Loshügel kamen. ‚Heute wird Kitzingen übergeben‘, hatten die Erwachsenen gesagt. Die Männer schauten regelmäßig nach draußen und berichteten von der Lage. Und irgendwann hieß es ‚Du kannst raus‘. Da sind wir den Berg hinuntergekrabbelt. Die Amerikaner haben aus den Fahrzeugen rausgeguckt und haben uns zugewunken. Und wir haben zurückgewunken. Ich hab keine Angst vor ihnen gehabt. Wir Kinder haben von ihnen Candys und Chocolate bekommen. Diese Wörter konnten wir schnell. Endlich war der Krieg vorbei. Das war eine Erlösung für uns.“

75 Jahre ist das her. Am 8. Mai jährt sich das offizielle Datum des Kriegsendes. Über 60 Millionen Menschen weltweit verloren im Zweiten Weltkrieg ihr Leben. Erschossen, verhungert, vergast, gefallen, erfroren, vergiftet, erhängt, ausgebombt, misshandelt, ausgezehrt durch Krankheit und Mangelernährung. Und die, die überlebten, trugen Wunden an Leib und Seele davon. Manche versuchten das Erlebte zu verdrängen. Und diejenigen, die erzählten, berichteten so unfassbar Grausames, dass man es beim Zuhören kaum ertragen konnte. Die Zeitzeugen werden weniger. Die Erinnerung an den Krieg rückt immer tiefer hinein in die Seiten der Geschichtsbücher. Für manche Jugendliche ist Krieg nur etwas, was man am PC spielt oder was weit von uns entfernt stattfindet. Der Zustand des äußeren Friedens, der uns in Europa offene Grenzen und wirtschaftliches Wachstum ermöglicht, ist weitgehend selbstverständlich geworden.

"Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein", erklärte im Jahr 1948 der Ökumenische Rat der Kirchen in der Hoffnung auf eine Weltfriedensordnung. Stattdessen kamen der Kalte Krieg und die atomare Abschreckung. Neue Konfliktlinien entstanden. Zunehmend wird deutlich, wie fragil der Friede ist, wie vielschichtig Konfliktursachen weltweit sind und wie wir mit unserem Lebensstil ebenfalls daran teilhaben. Der Klimawandel entzieht Menschen die Lebensgrundlagen, dies führt zu Konflikten und Migrationsdruck. Die globalen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten vergrößern sich. Der internationale Terrorismus verschärft Konflikte. Die Ausgaben für Rüstung und Militär steigen deutlich. Die Bilanz militärischer Einsätze, die zur Beendigung von Menschenrechtsverletzungen führen sollen, ist enttäuschend. Das gesellschaftliche Klima wird rauer. Extremismus, Antisemitismus und stereotype Feindbilder nehmen zu. Und es ist noch nicht absehbar, wie sich die Corona-Krise auf unser gesellschaftliches Leben auswirken wird. Schaffen wir es dauerhaft zusammenzuhalten, solidarisch zu sein? Oder wird die Hetze der Radikalen auf Nährboden treffen?

In seiner „Erklärung zum gerechten Frieden“ aus dem Jahr 2013 hat der Ökumenische Rat der Kirchen vier Dimensionen herausgestellt, die für den Erhalt des Friedens wesentlich sind:  
1. Frieden zwischen den Völkern – damit Menschenleben geschützt werden.
2. Frieden mit der Erde – damit die Lebensgrundlage erhalten wird.
3. Frieden in der Wirtschaft - damit alle in Würde leben können.
4. Frieden in der Gemeinschaft – damit alle frei von Angst leben können.

Das hebräische Wort für Frieden ist „Schalom“. Es bedeutet mehr als die Abwesenheit von Krieg. Es bedeutet umfassendes Heil - Gerechtigkeit, Wohlergehen, Sicherheit, Schutz, Frieden, der die ganze Schöpfung umfasst. Dieser Frieden ist kein Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. Am Ende der Geschichte wird Gott sein Friedensreich herbeiführen. Und dann wird sich erfüllen, was die Sehnsuchtstexte des Alten Testaments verheißen: Die Schwerter sind zu Pflugscharen geworden, die Völker haben verlernt Krieg zu führen, und alle Nationen kommen zusammen und feiern Versöhnung. Darauf läuft die Friedensmission Gottes hin. Und auch Jesu Botschaft liegt in dieser Spur. Der vollkommene Friede ist ein Geschenk Gottes, aber Friede ist auch den Menschen in die Hände gelegt. „Selig sind, die Frieden schaffen, denn sie werden Gottes Kinder heißen“, das ist keine Haltung des Abwartens, sondern bedeutet Aktivität. Das bedeutet: Der Gewalt den Nährboden entziehen. Deeskalieren. Die andere Wange hinhalten statt es dem andern doppelt heimzuzahlen. Das Schwarz-Weiß-Denken aufbrechen. Mit anderen teilen und sich für Gerechtigkeit einsetzen.

Als Christen leben wir im Spannungsfeld zwischen den verheißenen Sehnsuchtsbildern und den realen Erfahrungen. Wir merken diesen Gegensatz im alltäglichen Leben, beim Blick in die Nachrichten, und auch im eigenen Scheitern. Wir schaffen es nicht immer, im Frieden zu leben. Und trotzdem dürfen wir nicht aufhören, den Frieden zu suchen, denn wir haben Anteil an der Friedensmission Gottes, jeder und jede von uns. Der erste Schritt zum Frieden beginnt in uns selbst. Er beginnt mit selbstkritischen Fragen. Womit bin ich im Unreinen und warum? Wie gehe ich mit anderen um, welchen Ton schlage ich an? Welche Wörter und Aussagen dulde ich in meiner Nähe? Traue ich mich Farbe zu bekennen? Bin ich bereit, bescheiden zu sein, auf etwas zu verzichten um anderer willen? Was fördert den Frieden? In unserer Familie, in unserer Stadt, in unserem Land. In unserer Welt?

Suche den Frieden und jage ihm nach, heißt es in der Bibel. Frieden ist kein bequemer Zustand, sondern muss immer wieder gesucht, geschützt, herbeigeführt werden. 75 Jahre Kriegsende – das bedeutet nicht nur eine Erinnerung an Vergangenes, sondern das ist eine Ermahnung, wachsam zu sein und nicht damit aufzuhören, dem Frieden auf der Spur zu bleiben.

Kerstin Baderschneider, Dekanin