Hier ein ausführliches Interview mit Nancy Philip, Pfarrfrau unseres Austauschpfarreres in Kitzingen:
Elfriede Hauenstein
Vom Traum zur Wirklichkeit: Nancy Philip, geb. Mallow
Erste Eindrücke in einer fremden Welt
Sehr müde und irgendwie orientierungslos landeten ich und meine Familie am 7. Juli 2009 in Frankfurt. Es war bereits heller Tag. Leider verhüllte dichter Nebel die Sicht, so dass ich keine Landschaft erkennen konnte. Schade, dachte ich! Ich bin so neugierig auf Deutschland. Welch eine gute Idee, dass wir von einem Mitarbeiter von Mission Eine Welt vom Flughafen abgeholt wurden. Er stand am Ausgang und winkte uns zu, als wir schwerbepackt mit Taschen und Koffern in eine für uns neue Welt schritten. Immerhin konnte ich mein erstes deutsches Wort „Danke" sagen. In der Jabemsprache heißt nämlich Danke „dangke".
Kindheit im Dorf
Mein Heimatdorf liegt in der Nähe von Hopoi/Deinzerhill. Deinzerhill war mit eine der ersten Missionsstationen, die 1911 gegründet wurden. Heute existiert sie nicht mehr. Dort verbrachte ich meine Kindheit. Ich wurde als Jüngste von sieben Geschwistern in eine große Familie geboren. Acht Jahre bin ich in unserem Dorf zur Schule gegangen. Danach musste ich zuhause meine Familie unterstützen. Zu tun gab es viel: bei der Gartenarbeit helfen, Wasser holen am Fluss, Holz schlagen für das Feuer, Waschen und Kochen. In Papua-Neuguinea sind dies alles Aufgaben, die Frauen tun. Oft redete ich eindringlich mit meinen Eltern, dass ich gerne einen Beruf lernen würde, z. B. Lehrerin für eine Grundschule oder Krankenschwester. Ja, ich lag ihnen förmlich in den Ohren mit diesem Anliegen. Sie hörten sich meine Wünsche geduldig an, aber ändern konnten sie nichts. Für diese Ausbildung fehlte ihnen schlichtweg das nötige Geld. Wie gut, dass es den Kindergottesdienst gab und später ein christliches Jugendprogramm, das speziell für Dorfgemeinden erarbeitet wurde. Diese Angebote weckten mein Interesse an Neuem und füllten meine freie Zeit aus. Eine reizvolle Aufgabe fand ich danach als Schriftführerin, zu der mich eine Frauengruppe in unserem Dorf gewählt hatte.
Hochzeit
Meine Liebesgeschichte begann in Lae im Hause meines Onkels. Um einmal Stadtluft zu schnuppern, fuhr ich mit dem Schiff dorthin. Als junge Frau sehnte ich mich nach Abwechslung und Abenteuer von dem eintönigen Dorfleben. Obwohl Lae keine Millionenstadt ist, verläuft das Leben dort ganz anders, als ich es bisher gewohnt war. Damals arbeitete Navi Philip als Gemeindepfarrer in dem Stadtteil, in dem mein Onkel wohnte. Unsere beiden Heimatdörfer liegen sehr nahe beieinander, daher wussten wir voneinander. Außerdem sprechen wir dieselbe Sprache, nämlich Jabim. 2006 feierten wir schließlich Hochzeit, zuerst nach traditioneller Art unseres Dorfes, danach kirchlich. Zuletzt wohnten wir in der Gemeinde Obersiga in Fischhafen. Dort war mein Mann Gemeindepfarrer.
Vom Traum zur Wirklichkeit
Eines Tages, meiner Erinnerung nach ein Donnerstag, erreichte uns ein Brief von der Kirchenleitung in Lae. Mein Mann wurde angefragt, ob er sich eine Mitarbeit in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vorstellen könnte. Die Planungen in Neuendettelsau schauten so aus, dass er als Austauschpfarrer oder ökumenischer Mitarbeiter in einer Gemeinde mitarbeiten solle. Mein Mann war zuerst interessiert, dann doch erschrocken über diese Anfrage. Er konnte sich keine Vorstellung machen, wie der Arbeitsalltag eines Pfarrers in Deutschland ausschaut und welche Rolle er dabei einnehmen kann. Etwas ratlos reichte er mir den Brief und sagte: „Nancy, was meinst du dazu?" Als ich ihn las, überschlugen sich meine Gedanken und Gefühle. Sollte das Land meiner Träume plötzlich Wirklichkeit werden? Deutschland — mein Traumland! Unglaublich! Ich spürte eine unbandige Freude und Neugierde, die mich nicht mehr los ließ. Die deutsche Sprache zu erlernen, erschien mir plötzlich sehr spannend. Gleichzeitig beschlichen mich aber auch Ängste und Zweifel, ob dieses ganze Unternehmen überhaupt sinnvoll wäre.
Abschied von Zuhause
Meine Mutter erschrak zutiefst, als sie von unseren neuesten Planen hone. Sie fing an zu kiagen und weinen, denn irgendwie hatte sie die Befürchtung, dass sie mich als ihre jüngste Tochter hinterher nie mehr sehen wurde. So nach und nach überwiegen doch Freude and mächtiger Stolz über dieses für sie unvorstellbare Wagnis. Die Ängste meiner Mutter haben sich leider bewahrheitet. Sie verstarb plötzlich 2010. Das war ein großer Schmerz für mich, denn ich konnte zur Beerdigung nicht nach Hause fliegen. So blieb mir hier in Deutschland nur die Trauer. In einem festlichen Gottesdienst wurden mein Mann und ich in unserer Gemeinde ausgesandt. Viele gute Wünsche wurden uns mit auf den Weg gegeben. Ermutigt und gespannt nahmen wir daraufhin an der kleine Orientierung im Melanesischen Institut in Goroka teil. Dort erhielten wir viele wertvolle Tipps und Anregungen für die Ausreise. Schließlich sollte das unser erster Aufenthalt in Übersee, ja die erste Reise außerhalb Papua-Neuguineas sein. Zu diesem Zeitpunkt war mein Sohn Rodney sechs Jahre und Tochter Laura ein Jahr alt.
Deutschkurs
Sprache lernen in Bochum fiel mir nicht leicht. Schnell merkte ich, dass zwischen Begeisterung anfangs und mühevoller Kleinarbeit im Einzelnen viel Anstrengung notwendig war. Der Kurs dauerte ein ganzes Jahr. Von Montag bis Freitag versuchten uns die Lehrkrafte die deutsche Sprache beizubringen. Es wurde auch nur Deutsch gesprochen. Anfangs verstand ich überhaupt nichts. Nach einem halben Jahr ging es etwas besser. Bei all den Mühen und Anstrengungen beschlich mich oft das leise Gefühl, warum ich mir das angetan habe. Irnmerhin fühlten sich Rodney in der Schule und Laura bei der Tagesmutter sehr wohl. Außerdem fing die internationale Gemeinschaft, die wir im Wohnheim erlebten, so manches Heimweh auf. Schließlich saßen wir alle im gleichen Boot.
Ms Neuguinea-Pfarrfrau in Riidelsee
Nun bewohne ich mit meiner Familie ein großes Haus in Rödelsee, welches uns die Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt hat. Uns kommt es vor wie ein Palast, denn das Gebäude beherbergte den ehemaligen Kindergarten. Meine Kinder besuchen die Schule und den Kindergarten, in denen sie sich unwahrscheinlich wohl fühlen. Laura ist wütend und jammert, wenn der Kindergarten am Wochenende geschlossen hat. In unserem großen Garten habe ich bereits Beete angelegt und Gemüse angepflanzt. Bei schönem Wetter können Rodney und Laura draußen spielen und Fahrrad fahren. Ab und an besuchen mich Frauen aus der Gemeinde. Eine Frau habe ich zu einer Freundin gewonnen. Wir sitzen dann draußen oder im Haus und erzählen uns gegenseitig. Das ist gut so, denn dadurch bin ich gefordert, mein Sprachkenntnisse zu praktizieren. Auch helfen wir uns mit der Beaufsichtigung der Kinder, wenn die eine oder andere etwas vor hat. Ich würde mir wünschen, dass dies öfters geschieht. Leider sind die meisten Menschen in Deutschland sehr beschäftigt und haben wenig Zeit. Sehr befremdlich finde ich, wenn man für einen Besuch erst einen Termin ausmachen muss. Ich merke, der Terminkalender spielt hier eine große Rolle und das Leben „tickt" anders.
In PNG werde ich als Pfarrfrau von den Leuten genau beobachtet, wie ich mich verhalte, was ich sage und wie ich mich kleide. Das Tragen von Jeans z. B. wäre undenkbar. Ich muss einem bestimmten Bild von Frau und einer Rolle entsprechen, denn sie würden sonst hinter meinem Rücken über mich reden. Darüber brauche ich mir hier keine Gedanken machen.
Anfangs fürchtete ich mich, wenn ich unterwegs war oder beim Zusammentreffen mit „Weißen". Meistens war dabei die sprachliche Barriere der Angstauslöser. Wie oft verstand ich nicht, was manche Menschen mir sagen wollten. Auch der Verkehr und alles Moderne in den Großstädten flößte mir Angst ein.
Telefon und Handy
Beziehungen in Papua-Neuguinea spielen eine ganz große Rolle. Daher fällt es mir schwer, ohne meine Familie und Verwandte zu sein. Da mich meine Geschwister hier in Deutschland nicht besuchen können, telefoniere ich regelmäßig mit ihnen. Sie klingeln mit ihrem Handy aus dem „Busch" an und ich rufe sie zurück. Mit der Flatrate kann ich ziemlich lange telefonieren. Gerade bei Heimweh muss ich die Stimme meiner Schwester oder Tante hören. Ich weine dann ein wenig, aber dann ist es auch wieder gut.
Opa
In PNG ist man eigentlich nie allein. Verwandte oder Freunde sind immer greifbar und würden mich mit den Kindern und im Garten unterstützen. Erich, ein älterer Mann aus der Gemeinde in Rödelsee, besucht uns regelmäßig, fährt mit uns einkaufen, liest den Kindern vor und unterhält sich mit uns. Wir nennen ihn Opa, und das ist er auch im wahrsten Sinn des Wortes für uns. Für Rodney und Laura ist er als außerfamiliäre Bezugsperson sehr wichtig geworden.
Schule
Seit April besuche ich zweimal wöchentlich die Landwirtschaftsschule in Kitzingen. Sowohl in einem theoretischen als auch praktischen Block lerne ich viel Neues aus dem Bereich Hauswirtschaft. In der Großküche auf dem Schwanberg bekam ich bei einem praktischen Einsatz einen kleinen Einblick ins Kochen und Backen. Auch die Planung und der entsprechende Ablauf dazu ist mir klarer geworden. Eigentlich ging dadurch ein Wunsch, nämlich Wissen über Haushaltsführung, Kochen und Backen zu bekommen, bereits in Erfüllung.
Fahrrad
Meine neueste Errungenschaft ist ein Fahrrad. In Deutschland lernen Kinder bereits in jungen Jahren das Fahrrad fahren. In Papua-Neuguinea sind Fahrräder fast unbekannt und das Gelände eignet sich überhaupt nicht dazu. So schnell, wie mein Sohn Rodney es gelernt hat, konnte ich nicht mithalten. Es zeigten sich gewisse Tücken, die ich erst meistern musste. Mit viel Ausdauer und Ansporn meiner Familie schaffte ich diese Hürde. Jetzt freue ich mich über eine neu erreichte Mobilität, die ich bei Einkäufen und kleineren Ausflügen mit den Kindern nütze.
Poketbruklain - Leute mit wenig Geld in der Tasche
Die Kirche in Papua-Neuguinea kann ihren Pfarrern im Allgemeinen kein Gehalt bezahlen. Demnach müssen Pfarrersfrauen klug haushalten, ihre Gärten gut pflegen, um sich kleine Zusatzeinkünfte wie Gemüse auf dem Markt verkaufen, zu erschließen. Als Austauschpfarrer bekommt mein Mann wie alle Pfarrerinnen und Pfarrer ein regelmäßiges Gehalt. Von dem können wir gut leben und uns manches kaufen, was schön ist oder was die Kinder sich wünschen. Die ständigen Geldsorgen kann ich erst mal aus meinen Gedanken streichen.
Geben und Nehmen
Viele Missionare aus Neuendettelsau kamen in unser Land. In diesen 125 Jahren gaben die Missionarsfrauen uns Frauen in Papua-Neuguinea sehr hilfreiche und wichtige Impulse. Wir Frauen konnten Schulen besuchen und Ausbildungen absolvieren. Unser Selbstbewusstsein wurde gestärkt und entwickelte sich dahingehend, dass es heute in unserer Kirche eine starke Frauenarbeit gibt. Ich hoffe, ich kann von diesen „Schätzen” ein wenig zurückgeben. In der
Pidginsprache sagt man: „givim na kisim", d.h. Geben und Nehmen. In unserem Verständnis heißt das: Wer erhält und beschenkt wird, gibt bei nächster Gelegenheit zurück. Beweggründe sind dabei eine moralische Verpflichtung oder ein irmeres Bedürfnis, Freude und Wertschätzung weiterzugeben. In Rödelsee möchte ich deshalb meinen Glauben mit den Menschen teilen und davon erzählen.
Quellen:
Interviews Elfriede Hauenstein 2010 und 2011 Fotos: Privatbesitz